Mosel 2.0

Clark Parkin via Welt am Sonntag

Im Ausland gefeiert, in Deutschland belächelt. Deutschlands berühmtestes Anbaugebiet hat ein Imageproblem und eine neue Generation von Winzern, die es lösen will.

Julian Haart blickt hinunter in ein riesiges, natürliches Amphitheater. Die Steilhänge aus blauem Schiefer erhitzen sich in der Sonne und sorgen schon jetzt, am späten Vormittag, für einen aufsteigenden Heißluftschwall. Hier baut er die Rieslingtrauben für seinen Schubertslay Kabinett an, den er später auf seiner Terrasse einschenkt. „Wenn ich mit meiner Frau Nadine im Weinberg bin, können wir uns bei der Arbeit unterhalten, das könnte ich mit Saisonkräften nicht“, erklärt der 28-Jährige die Philosophie seines noch jungen Weingutes. Er wählt jede Traube von Hand aus und pult sogar einzelne Beeren heraus, die nicht seinen Ansprüchen genügen. Deshalb möchte er auch nicht bis ins Unendliche wachsen und sieht sich mit seiner Jahresproduktion von aktuell 20.000 Flaschen schon nah am Ziel. Das klingt erst mal nicht nach viel. Doch Haart ist eines der größten jungen Winzertalente Deutschlands.

Er ist der herausragende, aber beileibe nicht der einzige einer neuen Generation von Moselwinzern, die das angestaubte Image dieses traditionsreichen Weinbaugebietes überarbeiten. Und da gab und gibt es viel zu tun.

„Moselriesling? Den haben meine Großeltern getrunken“, wird der Wein mit den charakteristisch-verschnörkelten Etiketten häufig abgetan. Auch auf deutschen Weinkarten ist er eher die Ausnahme. Das hat mehrere Gründe. Im Ausland gilt die Mosel mit ihren restsüßen Spätlesen und Auslesen als das „typischste“ deutsche Weinbaugebiet. Hierzulande aber wird fast nur trockener Wein getrunken. Und deshalb hat die Mosel ein Wahrnehmungsproblem. Umso größer die Überraschung, wenn man auf Weine stößt, die mit einer Frische und Mineralität daherkommen, wie sie in dieser Ausprägung nur an der Mosel entstehen. „Umparken im Kopf“ ist also gefragt. Oder besser gesagt: eine Entdeckungsreise im eigenen Land. Sie führt zu Weingütern, von denen viele noch nie gehört haben, die aber bereits als Menübegleitung im „Noma“ in Kopenhagen serviert oder bei „Chambers Street Wine“ in New York empfohlen werden. Denn die Mosel ist international gerade unglaublich „hip“. Viele Weingüter leben bis zu 90 Prozent vom Export und wenn große Weinländer wie die USA erst wirklich auf den Geschmack kommen, kann man von Glück sagen, wenn hierzulande was übrig bleibt.

Das erleben auch Alexandra Künstler und Konstantin Weiser, die sich 2005 mit nur 1,8 Hektar in der Lage Enkircher Ellergrub in Traben-Trabach als Winzer niedergelassen haben. Sie arbeiten fast ausschließlich mit wurzelechten Reben in Steillagen. Also Reben, bei denen der Wurzelstock und der fruchttragende Teil derselben Pflanze entstammen. Einige davon sind hundert Jahre alt. Ihr knochentrockener Trabener Gaispfad bleibt durch seine mineralisch-salzige Note im Abgang ebenso lang im Gedächtnis wie Daniel Vollenweiders Schimbock Riesling, der noch nach alter Methode in der Korbkelter gewonnen wird und durch eine längere Maischestandzeit mehr Tannine aus den Schalen holt. Beide Weine haben sich meilenweit vom Geschmacksbild der nur fruchtbetonten Mainstream-Rieslinge emanzipiert. Und im Vergleich zeigen sie die Bandbreite und den Interpretationsspielraum der Rieslingtraube. Weiser-Künstler verzichten, wie viele ihrer Kollegen, mittlerweile auch darauf, auf den Etiketten „Spätlese“ oder „Feinherb“ auszuweisen. Diese Prädikate verraten eher etwas über die gesetzlichen Bestimmungsgrenzen als über das Geschmackserlebnis, das der jeweilige Wein bietet. Denn selbst mit einem Restzuckergehalt im halbtrockenen, also „feinherben“ Bereich wirken diese Moselrieslinge selten zu süß, sondern erfrischend, wie Haarts Schubertslay Kabinett, ein trotz 45 Gramm Restzucker herrlich saftiger Aperitifwein, der wie ein klarer Gebirgsbach seitlich die Zunge herunterplätschert.

Auch im Calmont in Bremm an der Mosel, dem mit 65 Grad Steigung steilsten Weinberg Europas, tut sich was. Angelina und Kilian Franzen steckten beide noch im Studium in Geisenheim, als sie nach einem Unfall im Weinberg das Gut von Kilians Vater übernehmen mussten. Mit einem überwiegenden Anteil an Privatkunden sind sie unter den Jungwinzern eine Ausnahme, mit ihrem Riesling Lagencuvée „Der Sommer war sehr groß“ (nach dem Rilke-Gedicht benannt) zeigen sie eindrucksvoll die behutsame Neuausrichtung ihres Weingutes.

Als echten Nerd im positiven Sinn darf man Stefan Steinmetz bezeichnen, der 1999 noch sehr jung das elterliche Weingut Günther Steinmetz in Brauneberg an der Mittelmosel übernommen hat. Wer sonst würde sich die Arbeit machen, auf nur knapp sechs Hektar Rebfläche jedes Jahr bis zu 19 verschiedene Weine zu keltern? Darunter sind so großartige Gewächse wie der Wintricher Geierslay Riesling „Sur Lie“, aber auch ein sehr ordentlicher Gutsriesling aus der Literflasche zu einem lachhaften Preis von 5,50 Euro ab Weingut. Sein Rezept ist die Differenzierung. In seinen Lagen baut Steinmetz je nach Reifegrad oder Rebenalter auf jeder Parzelle unterschiedliche Weine aus – seine Weine sind charaktervolle Individualisten. Bei Steinmetz in der Probierstube kündigt sich auch der nächste Mosel-Hype an: Spätburgunder. Steinmetz‘ Kestener Herrenberg und Paulinsberg Pinot Noirs belegen, dass die rote Traube und der Schieferboden füreinander bestimmt sind.

Dass es nie zu spät ist, Jungwinzer zu werden, beweist die Geschichte von Barbara Rundquist-Müller und ihrem schwedischen Mann Erik. Eigentlich schon im Ruhestandsalter erbte sie 2007 von einer Tante das Weingut Dr.H. Thanisch, Erben Müller-Burggraef, das für seine Spätlesen und Auslesen vor allem aus der Lage Berncasteler Doctor bekannt ist. Rundquist-Müller setzte einen jungen Kellermeister ein, und die Weinprobe im Doktorkeller (mit konstant acht Grad der kälteste Deutschlands) ist mit dem genialen Graacher Himmelreich Spätlese trocken, dessen Safrannote einem nicht mehr aus dem Kopf geht. Die Weine inspirieren geradezu, sich um sie herum Menü auszudenken. Wie würde der wohl zu einem klassischen Risotto schmecken?

„Blind einschenken“, sei manchmal die einzige Möglichkeit um Skeptiker zu überzeugen, weiß Gerrit Walter. Der Jungwinzer aus Briedel an der Mosel hat einige Zeit in einem Londoner Weingeschäft gearbeitet, das auf Riesling spezialisiert ist. Die Vorbehalte der Kunden kennt er aus eigener Erfahrung. Umso wichtiger ist für ihn, dass sein Briedeler Riesling zurzeit als Weinbegleitung im Zweisternerestaurant Facil in Berlin serviert wird. Für Moselwinzer wie Walter, der sein Handwerk unter anderem bei Jochen Dreissigacker gelernt hat, sind die Weinkarten der Restaurants besonders wichtige Faktoren für die Außenwahrnehmung. Die Mosel ist weit abgelegen von Autobahntangenten oder Ballungsräumen und kann deshalb nicht von der gleichen Frequenz an Direktkunden wie die Pfalz oder Reinhessen profitieren.

Als Phoenix aus der Asche darf man die Geschichte des Weingutes Immich-Batterieberg bezeichnen, das einen längeren ruhmlosen Abstieg hinter sich hatte. Kellermeister Gernot Kollman, der zuvor federführend das Weingut Van Volxem zum Erfolg geführt hatte, erweckte Immich-Batterieberg wieder zum Leben. Und was für eins. Seine Weine begeistern durchweg durch ihre moderne Stilistik, die exemplarisch für den neuen jungen Moselwein ist. Denn Kollmann macht keine „Mopsweine“, wie man hier manche aufgeblasenen Großen Gewächse der Winzer-Platzhirsche vom VDP nennt. Das sind Weine, die keine Fragen offen lassen. Denn was viele Kritiker übersehen, wenn sie einen Wein nach einem Schluck bewerten, ist die Frage, ob man danach noch Lust auf ein zweites Glas hat. Das Umparken im Kopf funktioniert übrigens am besten bei einer Weinprobe nach dem „Flasche leer“-Prinzip. Man lade ein paar Freunde ein und stelle eine Auswahl von Rieslingen geöffnet auf den Tisch. Der beste Wein ist der, der als erster ausgetrunken ist und von dem alle noch ein zweites Glas haben möchten. Von der Sorte hat die neue junge Mosel einige zu bieten.